Chromatische Datenabfrage

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  • Chromatische Datenabfrage

    „Ich kenne dich in- und auswendig“, „Ich weiß genau, was in dir vorgeht“ oder „Du bist wie ein offenes Buch für mich“ sind Sätze, die man sich allenfalls geduldig von seinem lang- jährigen Partner oder besten Freund sagen lässt. Denn neben der liebevollen Bedeutung sind wir uns auch der sanften Überheblichkeit des Gesagten bewusst – spätestens wenn wir an manche Geheimnisse, Vorlieben oder Erlebnisse denken, die wir nicht mit der angeblich so kenntniserfüllten Person geteilt haben. Einen wahren Schauer löst dagegen die Vorstellung aus, dass es tatsächlich jemanden gibt, der alles über uns weiß. Unsere Persönlichkeit aus Glas wäre so transparent wie zerbrechlich, unser Verhalten berechenbar und leicht zu durchkreuzen, die Gedanken zwar frei, aber nicht anonym, unsere geheimen Wünsche für uns unerreicht, aber für den anderen präsent. Wir wären die lebendige Zielscheibe für Manipulationen, Laborversuche und Attacken. Was für Datenschützer der Super-GAU, für Literaturkenner seit Jahrzehnten populäre Utopie und für Kolumnisten seit Monaten Top-10-Thema ist, schließt sich gegenwärtig immer schneller und sicherer zu einem engen Kreis zusammen.



    Zwar gewissermaßen absehbar, aber doch plötzlich und umfangreicher als erwartet setzt der Internetriese Google an zum letzten Schlag gegen die Kontrolle des Nutzers über seine Daten. Diese hatte Google sowieso schon lange auf dem Kieker und tastete sich langsam heran. Dank seiner Umwege über verschiedene Elemente eines großen Masterplans gelang dies fast unentdeckt. Der Kreis schließt sich: Der Benutzer ver- schickt seine elektronische Post mit Google, er telefoniert mit Google, er sortiert seine Termine mit Google, er lässt sich orten mit Google, er surft mit Google im Internet und wirft alles, was schließlich noch fehlt, Google in Suchanfragen vor die Füße. Und nun auch noch Google Chrome OS. Mit der Ankündigung des Google-Betriebssystems steht der größte und vielleicht auch schwierigste Schritt bevor. Nicht nur spuckt Google dem mächtigsten Player auf dem Markt mal so richtig in die Suppe, auch Kunden könnten langsam skeptisch werden. Denn wie schon alle anderen Google- Dienstleistungen, gibt es auch das Chrome OS völlig kosten- los. Von der alten Prägung „Was nichts kostet, ist auch nichts wert“ konnten die Verbraucher zwar schon entwöhnt werden – aber auf wie viel Dummheit kann man wirklich zählen, wenn es darauf ankommt? Schließlich müssten Nutzer des Chrome OS daran glauben, dass Google allein aus wohltätigen Zwecken oder vielleicht sogar Langeweile mal eben ein paar Entwickler zu Seite nimmt und ihnen für die Programmierung eines solch feinen Dings ein paar Millionen US-Dollar in die Hand drückt. Und wo sie schon mal dabei sind, setzen sie sich auch gleich noch mit ein paar Computerherstellern an einen Tisch und bitten sie, das Chrome OS doch auch mal auf ein System zu lassen. So muss es gewesen sein, denkt sich Googles Modell-Verbraucher, surft fröhlich drauf los und freut sich über das schnellere, sicherere, einfache Betriebssystem, das vielleicht sogar hält, was es verspricht. Dabei ergänzt Google mit seinem nächsten Projekt nur sein großes Daten-Puzzle und tut das, was das Unternehmen am besten kann: Es verkauft und kanalisiert Werbung, und dies umso teurer und präziser, je mehr Informationen über eine potenzielle Zielscheibe für kommerzielle Anzeigen gesammelt werden können. Wie könnte dies noch besser funktionieren als mit Nutzern, die nicht nur emailen, telefonieren, suchen und surfen, sondern auch noch ihren digitalen Schreibtisch mit Google teilen? Dieser kann nämlich mit der kleinen und handlichen Konzeption von Google Chrome OS überallhin mitgenommen werden, von jedem Rechner aus gestartet werden und so jedes noch so kleine digitale Detail der Person speichern und im Mutterschiff Google auswerten. Dem Funktionieren des Masterplans steht jedoch die Offensichtlichkeit seiner Perfektion selbst im Weg: Wir wollen schon nicht, dass die Person, mit der wir uns das Bett teilen, alles über uns weiß. Wieso sollten wir dann wollen, dass der Person, mit der wir uns den Schreibtisch teilen, diese Einblicke gelingen?